Unterrichtsgrundlage: Lebensweltbezug. 

Als Lehrerkräfte in Wilhelmsburg, an einem sozialen Brennpunkt mit einer Schülerschaft  aus vorwiegend bildungsfernen Familien, sind wir stets mit vollem Einsatz dabei, wenn sich Schüler/innen aus eigener Motivation heraus mit Unterrichtsgegenständen auseinandersetzen, oder sogar über den Unterricht hinaus aktiv werden. Hierbei wurde von Anfang an die Flüchtlingsthematik zu einem gefragten fächerübergreifenden Unterrichtsgegenstand an unserer Schule.

Die aktuelle öffentliche Debatte zu „Krieg, Flucht und Integration“ wurde nämlich für unsere Schülerschaft zur unmittelbaren Begebenheit, in Folge einer Sperrung unserer Sporthalle, die nach den Sommerferien grundsaniert werden musste.

300 Menschen mussten dort auf engsten Raum für sechs Wochen leben, sodass es zu entsprechenden Abnutzungen kam. Zudem wurden 500 Meter weiter zwei Container- Flüchtlingslager errichtet.

Ca. 90 Prozent unserer Schüler/innen weisen einen Migrationshintergrund auf und sind meist aufgrund ihrer eigenen Biografie mit Vorurteilen, Diskriminierung und einer gewissen gesellschaftlichen Ohnmacht konfrontiert. Dieses bewirkt eine Betroffenheit, die sie höchst motiviert mit Zivilcourage und Hilfsbereitschaft aktiv werden lässt.

Mit voller Leidenschaft widmete sich die Schülerschaft zwei großen Fußballturnieren für und mit Flüchtlingen sowie mehreren selbstorganisierten (und von uns Lehrern beaufsichtigen) Kleiderspenden und Kuchenverkaufsaktionen.

 

Im Fach Theater hat sich der Kurs daraufhin ganz konkret mit der Frage auseinandergesetzt, wie es möglich ist, den Menschen andere Perspektiven hinsichtlich der Flüchtlingsdebatte zu eröffnen und in gewissem Maße eine Betroffenheit zu ermöglichen.

Dieses geschieht ganz klar durch den Perspektivwechsel und einem konkreten Gedankenexperiment, wie es auch Janne Teller in ihrem Aufsatz „Krieg: Stell dir vor, er wäre hier“ macht. Die Schüler haben sich mit großem Engagement und zusätzlichem Freizeitaufwand, in die theaterästhetische Umsetzung des Prosatextes gestürzt, mit dem Ziel und der Hoffnung zu einem gesellschaftlichen Umdenken beitragen zu können.    

Im Verlauf des ersten Semester wurden primär theaterästhetische Grundlagen mit dem Schwerpunkt Improvisation und Raumerschließung behandelt. Weiterhin wurden Funktion und Aufgabe des Theaters sowie der Bühnenformen problematisiert. Janne Tellers Prosatext wurde hierbei immer parallel betrachtet, um Ideen zur Dramaturgie und Inszenierungskonzeption zu entwickeln.

Hierfür wurden zusätzlich vier Wochenendworkshops und ein Schulprojekttag veranstaltet, bei denen die Kursteilnehmer  in ihrer Freizeit teilnahmen.

Die Prozesse in der Produktionsentwicklung verliefen relativ flüssig ineinander. Man teilte den Text in sieben Abschnitte und Gruppen auf, die durch szenische Improvisation die Szenengrundlagen erarbeiteten, welche dann im Anschluss mit dem gesamten Ensemble weiterentwickelt wurden. Der Kurs hat sich hierbei besonders auf Aspekte des chorischen Sprechens und auf den Umgang mit „konstanten“ Requisiten für das Bühnenbild konzentriert.

 


 

 

 Janne Tellers Text bietet einen Perspektivwechsel, in dem die Europäer zu Flüchtlingen werden und die arabische Welt als einzig stabile Region dargestellt wird. Die europäische Union ist zusammengebrochen und es herrscht Krieg, weil Deutschland aus der EU ausgestiegen ist. Deutschland wollte nicht mehr für andere „schmarotzende“ Länder zahlen und wird nun von allen Europäern geächtet und bekämpft. 

Am Beispiel einer deutschen Familie werden die Zustände im Krieg, auf der Flucht, im Flüchtlingslager und abschließend als ungewollte Migranten und Menschen zweiter bzw. dritter Klasse, dargelegt.

Der Kurs hat diese Aspekte übernommen und versucht noch weiter zuzuspitzen, sodass auch die derzeitigen Vorurteile sowie die aktuelle Medienrezeption - in einem  Perspektivwechsel - auf die deutschen Flüchtlinge im Stück angewendet werden konnten.

 

Ziel dieses Projekts ist es: 

1.     Eine kontroverse Auseinandersetzung im gesellschaftlichen Diskurs zu ermöglichen.

2.     Unseren Schülern aufzeigen, dass durch die konkrete Darstellung bzw. klare Benennung von Defiziten und  

        Problemen unserer Gesellschaft, dem Fremdenhass und dem Aufspalten der Gesellschaft in ein Schwarz-Weiß-

        Denken entgegengetreten werden kann.

Erschreckend ist die Tatsache, dass unsere wunderbare Textvorlage schon 2001 verfasst wurde!  Janne Teller nahm hierbei die ersten aufkommenden Debatten hinsichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen zum Anlass, um der dänischen Bevölkerung die Lebensumstände von Kriegsflüchtlingen nahe zu bringen. Dabei geht es um eine thematische Sensibilisierung und  eine Darlegung der Folgen einer Verweigerung an diesen.

15 Jahre später - haben die europäischen Länder immer noch nichts hinsichtlich einer gelingenden Flüchtlingspolitik dazugelernt.

Alle Misslichkeiten, die Janne Teller in ihrem Aufsatz darlegt, sind für uns in Deutschland -nach über einem Jahrzehnt- höchst aktuelle Probleme geworden. 

 Janne Teller

Krieg. Stell dir vor, er wäre hier

aus dem Dänischen von Sigrid Engeler

übersetzt

Reihe Hanser

64 Seiten

Ab 12

ISBN 978-3-423-62557-9

7. Auflage 2015